Eine Geschichte um den «Siebenfarrer» aus Napoleonischer Zeit
Zum Siebenfarrer
Von Hans Matscher
»So a Schwitzerei, so a saumäßige! Dös hamma nötig«, schimpfte der bayrische Korporal! »Alles z’wegn ara paar Büx’n von dö rebellischen Tarola!« Aber in sein Hirnkastl verschlossen hielt er die Fortsetzung: »Und alls z’wegn dem Napoleon, dear nia ka Ruah net geben kann.« Neben ihm nämlich schritt ein französischer Sergeant, der allerdings auch nicht über den elenden, steilen, steinigen Schinder erfreut war, so von Bozen nach der Höhenburg Rafenstein leitete.
Die beiden führten eine Schar Soldaten gemischt aus Bayern und Franzosen, um in das Sarntal einzudringen.
Immer toter und öder wurde die Gegend, je höher die Truppe kam. Wo blieb überhaupt das Leben hier? In den Höfen oben allenthalben hochbejahrte Männer und Zittergreise. Die Jungmänner hatten sich vor den Aushebungen geflüchtet.
»Und a jung’s, fesches Mensch kriagst aa nimmer, net amol zum Anschauen. Lauter alte Weiber und Vogelscheuchen, wo die graust, kemmen da vor die Füaß.«
Die trübsinnigen Betrachtungen des Korporals besserten sich nicht, als sich über dem SchIosse der Weg weiter aufwärts schlängelte, bis er sich endlich in das Tal hinein bequemte. Längs schroff aufschießenden Porphyrwänden kroch der schmale Saumweg, oft nur mehr ein Steig, und gestattete manchmal einen erschreckten Blick hinab in eine grausige Teife, in der man den Talbach schäumen sah, sein Tosen an die Felsenenge hörte man nicht mehr herauf.
Durch Risse und Schluchten mußte sich nun die zur Zeile gewordene Schar winden, stundenlang, bis man das kleine, anscheinend von Gott und der Welt verlassene Dörflein Afing erreichte. Es schien ein Ausgeding für alte und bresthafte Sarner zu sein. Nichts Junges war herum. Und wo der Siebefarr-Hof wäre, wußte niemand. Achselzucken, Kopfschütteln, Hand ans Ohr legen: »Ha? Wia hast gesagt? … Naa, der Pfarrar ist nit da. Werd af Boaz’n außa sein oder af Flaas ummi.«
Man merkte die Absicht und trottete noch verärgerter längs der Wände weiter.
Ein Stück einwärts der Ortschaft wurde ein des Weges tscherfelndes Bäuerlein gestellt und barsch angefahren, wo der Siebenfarrer sei?
»Ah, da müaßt’s no weiter eini, bis zum Marterloch, wo sell Brettardach über’n Steig ist. Da seht’s den Siebenfarrer, ja, ja, da habt’s ’n nachar glei vor enk, den Siebenfarrer«, dabei zwinkerte er mit einem Auge.
Knurrend und brummend über die Vorgesetzten, die einen stundenlang in ein Tal hetzten, enger schier als ein Arrest, ging’s dem Marterloch zu, wo man das Ziel vor sich hätte.
Etwa eine Stunde hinter Afing schien der Weg plötzlich wie abgeschnitten. Nein, er bog sich nur brüsk in einen schauerlich klaffenden Felsenriß hinein. Drohend hing düsterrotes Gestein über den Weg. Den überdeckte ein auf massigen Stämmen ruhendes Holzdach, damit ein Seitenbach darüber herunterschießen könne.
Das mußte das Marterloch sein! Wo aber war das ersehnte Ziel, der Siebenfarrer?
Da stieß ein Kraxentrager zur Schar unter dem Dache.
»Den Siebenfarrer? O, meine liab’n Leut, da seid’s ja ganz falsch.«
»Aber man soll den Hof do grad vor seiner haben?« schrie der Korporal durch das Rauschen des Wassers zu Häupten.
»Habt’s ’n ja aa! Da schaut’s ummi! Da drüben steht er, aber auf der andarn Seit’n halt vom Tal.«Die Gesichter der Korporale verfärbten sich dunkelroter als der Porphyr, und ihre Flüche überdonnerten das Brausen des Baches über ihnen.
»Ja, da nutzt koan Fluachen nit. Bald ös heunt no zum Siebenfarrer ummi wöllt’s, da müaßt’s no a guates Stündl durchein bis zun dar ersten Bruggen übar die Talfar und nachar halt af dar andarn Seit’n wiedar aufi, bis ös ’n halt habt, den Siebenfarrer.«
Die gemischte Soldateska machte sich mit noch gemischteren Gefühlen davon.
Als die Ferse des letzten Soldaten um das andere Eck des Marterloches verschwunden war, schlüpfte der Kraxenträger aus den Riemen des Gestells, schob es in einen Riß der Wand, und er selber stieg über diese hinaus in die Tiefe.
Er wußte, so ein Aufgebot konnte nur zweierlei bedeuten: entweder Aushebung der Söhne des Siebenfarrers zum Kriegsdienst oder Fahndung nach Waffen auf dem Hofe.
Der Bauer rannte einen schier senkrechten schwindeligen Felsenpfad hinab zur Talfer tief unten. Er kannte dort einen Notsteg über den Fluß und stürmte jenseits ein Weglein hinan. In einer halben Stunde war’s vollbracht, und die Siebenfarrer-Leut hatten Nachricht von der anrückenden Gefahr. Dann schleunte der Warner sich wieder zu seiner Kraxe, und auf dem Wege nach Bozen hätte man ihn oft laut vor sich hinlachen hören können.
Derweil war man beim Siebenfarrer in hastige Tätigkeit geraten: Etwa ein Dutzend Gewehre galt es zu verstecken und eine Menge selbstgegossener Bleikugeln. Die Burschren stiegen im Stadel bis zu seiner Strohdecke hinan, schoben das bedrohte Gut zur Befreiung des Vaterlandes zwischen die Balken des Firstes und das Scheuendach und retteten sich dann selbst in den Wald. Wo er am dichtesten stand, stiegen sie in die Wipfel, gedeckt nach unten und doch mit etlicher Sicht auf den Hof.
Richtig, nach zwei Stunden kamen die Soldaten angerückt. Ein Teil umstellte den Hof, daß keiner der Inwohner entweichen könnte, der andere drang ins Haus. Der Nöna lag auf der Ofenbank, der Bauer mit der Bäuerin saß gerade recht gemütlich bei der Marende, und alle ließen sich wie ahnungslos von den Eindringlingen überraschen.
Führer und Soldaten, von dem langen, beschwerlichen Marsche übelgelaunt genug, trachteten nun nicht ohne die Beute, deretwegen sie ja zum Siebenfarrer beordert worden waren, in Bozen einzurücken. Das ganze Haus wurde durchstöbert vom Keller bis ans Dach, das Getäfel abgeklopft, in der Stube gar ein Fußbodenbrett aufgerissen, alle Kästen und Betten durchsucht, Kleider und Wäsche durcheinander gewirbelt, im Stalle die Streu unter den Kühen umgedreht, der Schweinekobel ausgemistet, der Heustock im Stadel durchstochen mit Säbel und Bajonett, und als alles vergeblich war, sogar noch der Misthaufen zerworfen.
Nichts, überall nichts.
Wutentbrannt zog der Fahndungstrupp wieder ab und talaus nach Bozen.
Die Bäuerin hängte rückwärts zu einem Fenster einen roten Unterkittel hinaus, den die Burschen in den Wipfeln sahen und aus dem Wald heimkehrten.
Die Büchsen aber ließ man jetzt in ihrem erprobten Verstecke, bis es heißen wird: »Mannder, es ist Zeit!«
Aus den »Dolomiten« vom 7. Februar 1953
Passiert ist das alles wohl Anfang 1800.
Nöna oder Nöne: Großvater, allgemein Neen, also mit langem e, auch ö. Die Endung ‑a hat mit dem italienischen nonno beziehungsweise nonna (Großvater, ‑mutter) nichts zu tun; so wie Nahndl (Großmutter) hat die Bezeichnung mit ›Ahnen‹ (Voreltern) zu tun.