Der Siebenfahrerhof und seine Geschichte nach 1900
Der Siebenfahrer wird erstmals 1288 als »Sibenvorhen« erwähnt, mehr darüber hier.
Der Hofgeschichte bin ich — Fritz Jörn — zunächst über das Grundbuch nachgegangen, beim Bozner Grundbuchamt in Gries, Duca‑d’-Aosta-Straße 40. Dabei geht es genaugenommen um den »geschlossenen Hof«, den Anton Hödl – mein Großvater – am 28. Juli 1954 aus Angst vor Enteignung vom größten Teil des umgebenden, jetzt also »walzenden« Waldes abgetrennt hatte. Im großen Lederband sah ich mir die Grundbuchseinlage 364 aus dem Sarntal (»Sarnthal«) an, deren Eintragungen um die letzte Jahrhundertwende beginnen. Es wird Bezug genommen auf eine Einräumungs-Urkunde vom 6. Juli 1893 Folio 393 und die wortgleiche (aber schöner geschriebene) aus Bozen vom 18. Dezember 1893 Folio 3267, sowie die Übertragungen vom 13. April 1901 Folio 122 und 25. April 1902 (nicht 1903!).
Jedenfalls wird ersichtlich:
Georg Kritzinger ist kurz nach der Jahrhundertwende alleiniger Besitzer. Kritzinger war der angesehene Wirt vom Schweitzer-Hof in Sarnthein – am Kirchplatz steht dort seit 1990 die Raiffeisenkasse. Er verkaufte am 1. Juli 1919 (Zahl 123) mit Kaufvertrag vom 22. November 1917 den Siebenfahrer – damals »Sarnthein Umgebung N° 12« – für 60.000 österreichische Kronen – davon die Hälfte Hypotheken – an Anton Hödl.
Anton Hödl, geboren am 19. Dezember 1881 in Wilten bei Innsbruck, gestorben neunzigjährig am 1. Februar 1972 in Bozen, begraben in Sarnthein (seine Memoiren hier), war im ersten Weltkrieg als österreichischer Offizier mit »Signum laudis mit Schwertern« am Monte Erio stationiert gewesen. Während einer »Retablierung«, einem Fronturlaub, im Hotel Greif in Bozen am Waltherplatz hatte er im »Tiroler Grundstücks- und Hypothekenmarkt« (oder so ähnlich) über den Siebenfahrer gelesen.
Unter Hödl teilten sich den Besitz zunächst Heinrich (»Harry«) Fillunger, der Schwager Anton Hödls, zur Hälfte; je ein Viertel besaß Anton Hödl und seine Frau Mariann(e) Elisabeth Hödl, geborene Fillunger (19. November 1891 in Orlau, Böhmen; gestorben 79-jährig am 19. Juli 1971 in Salzburg, ebenfalls begraben in Sarnthein).
Der Pachtvertrag mit Karl Kofler vom 26. Juni 1926 nennt richtig Anton und Mariann Hödl in Graz sowie Dr. Heinrich Fillunger in Bombay als Besitzer.
Am 26. Oktober 1934 (Vertrag vom 8. Oktober 1934) ging Harrys Hälfte für 60.000 Lire und einen »wesentlichen ›schwarzen‹ Zuschlag« (Hödl-Memoiren) an die beiden Hödl-Kinder Heinz Hödl (geboren am 4. April 1915 in Mährisch-Ostrau) und Mariann(e) Lore Hödl (»Marianne II«, geboren am 13. August 1919 in Wittkowitz), später verwitwete Jörn und wiederverheiratete Spraiter. Der Schreiber, Fritz Jörn, ist ihr ältester Sohn, geboren am 30. November 1941 in Brünn. Mein Großvater Hödl hatte den beiden anderen Fillunger-Erben, Irene und Harry, ihre Erbteile bar ausgezahlt; Iren kaufte sich davon das »Haus Michael« in der Schwarzseestraße 20 in Kitzbühel.
Ebenfalls 1934 wurde das »Zimmerhüttl« gebaut, mit einem Backofen und Holzleg im Erdgeschoss, Tischlereinrichtung und Wäschetrocknung oben.
Nach dem zweiten Weltkrieg, um 1950, wurden im Sarntal von der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft Enel (Ente Nazionale Energia Elettrica) zwei Staustufen und zwei Wasserkraftwerke gebaut, das obere oberhalb Bundschen unter dem Gasthaus Fichter (dazu hässliche Wohnblocks), das untere in Bozen an der Sankt-Anton-Straße fast zu Füßen Runkelsteins. Das Wasser der Talfer und ihrer östlichen Zuflüsse, darunter auch des Tanz- und Osterbachs, wird durch unterirdische Stollen zugeführt. Am Siebenfahrerhof führten die unterirdischen Sprengungen zum Ausbleiben der Quellen (jedenfalls machte Großvater das geltend) und 1951 zum Bau einer 2200 Meter langen Wasserleitung (1800m Zuführung, 60cm tief, 60cm ø; 400m Druckleitung, 70cm tief, 70cm ø) mit zwei Talüberführungen von der Quelle im Engen Tal und im Schindelwandtal unter dem Italienerweg bis zum Hof. Zugleich wurde die 860 Meter lange Oberflächen-Holzwasserleitung vom Brandtler zum Siebenfahr aufgelassen. Keine Holzrohre mussten mehr mühsam aus Baumstämmen gebohrt werden. Strom kam und löste Karbid- und Petroleumlampen ab. Ab 1960 gab es eine inzwischen wieder aufgelassene zusätzliche Wasserzuführung aus dem Osterbach unter Gießmann.
Anfang 1950 wurde im Wohnhaus für 165.000 Lire eine eigene kleine elektrische Mühle von Fuchs und Rogger, Sexten, rechts neben der Küche (heute die Waschkammer) installiert – Strom war damals also schon im Haus. Der Göpel (»Göbbel«) oberhalb des Stadels – Freude aller mitfahrenden Kinder – wurde funktionslos.
Telefon kam erst 1964 – nach dem Krieg hatte es ins Sarntal nur eine isolierte Telefonleitung mit fünf Sprechstellen gegeben; die Bozner war im Fahrkartenschalter des Postautos (SAD, Società Autonoma Dolimiti) im Weißen Rößl in der Bindergasse, die anderen im Tal. Je nachdem, wie oft man kurbelte, war ein anderer Teilnehmer gefragt.
Unter Anton Hödl wurden am Siebenfahrerhof die Noag-Wies am Osterbach (Parzelle 1800), die Anger-Wies unter dem Fahrweg beziehungsweise unter dem Winterwasser (1814 unten, 1815 oben, 8184 alte Straße dazwischen), das separate, südliche Anreuthel (1827 Acker, 1825 Wiese darunter, heute dort Hochspannungsmast 112), der Hundskragen und ein Teil der Wasendraht davor (1802) aufgeforstet, ebenso im Wald die obere Wies’ (mit Holzkreuz und flachen Gedenkstein an die damaligen vier Besitzer) und die Brunnwiese an der Grenze zum Haselbrunn-Wald, die zur Lentsch gehörigen untere Wiese [Parzelle 716], die Rastler und das Lägerle sowie die damals unbewohnte Lentsch selbst (im Jahr 1956; Parzellen 717, 718, 219, 220).
Die Lentsch war ein eigener Hof auf 1440 Meter und zuletzt eine schindelgedeckte Jagdhütte, oberhalb Schlögg (1177 m). Der letzte Bauer war angeblich um die Jahrhundertwende nach einem Viehverkauf umgebracht worden. Heute ist die Lentsch im Besitz der Familie Spraiter (Gießmann N° 12, I‑39054 Ritten).
Im Jahr 1953 wurde am Siebenfahrer der Stall »unter« dem Stadl neu gebaut und dafür der Stadl angehoben. Das ursprüngliche Strohdach wurde 1969 für 1,6 Millionen Lire durch Welleternit ersetzt – Stürmer Hans (er wohnte auf Schlögg) war mit dem Strohdecken nicht mehr nachgekommen, die speziell dünnen Garben waren immer schwerer zu bekommen gewesen.
Zur Erinnerung die Flurnamen (siehe Luftbild mit Parzellen): Die aufgeforsteten Wiesen Noagwies (Parzelle 1800) am Tanzbach, Angerwies mit Winterwasser unter der Hödlschen Fahrstraße (1814, 1815, 8184) und der Acker Anreuthel (1827, 1825; »Reuthel« von roden) wurden schon erwähnt. Südlich des Hofes liegt die Lehen (sprich »Lechn«), die untere (1816) unter dem ebenen Zufahrtsweg, die obere (1818) darüber; oberhalb des »Haselbrunn Kirchwegs« die Raut (1822, 1823; »Raut« von Rodung); direkt ober dem Hof das Etzel (1808; »Etz«, »Etzn«, »Etzl« wie »Ötzl« ist ein eingefriedeter Weideplatz, vgl. atzen); unter dem Hof die steile Leite oder Leitn (1811); dahinter nordwärts unten, aufgeforstet, die Wasendraht (1802). »Draht« ist ein zur Wiese gewordener Acker, Wasen steht für Rasen.
Nördlich des Stadels der recht ebene Weizacker (1803) und ober der Zufahrtstraße der Langacker (1804); ganz oben die Ebenwies (1807). Anfang der 50-er Jahre – siehe auch meine Erinnerungen dazu – hatte Pächter Luis Spögler je zwei Knechte und zwei Mägde (selbst ging er gerne auf die Jagd); die Äcker wurden mit dem Pferd bebaut, Weizen, Roggen, Gerste, Hafer in Fruchtfolge, oft Plenten (Buchweizen) über den Winter, Kartoffeln, Mohn – dieser am fernen Hundskragen, damit wir Kinder dort nicht spielten. Dreimal täglich wurde die Glocke geläutet, wenn zum Essen gebetet wurde, am Freitag viermal und bei Gewitter; eine Kordel führte von vor der Stube bis zum Dach. Die Glocke hatte Karl Kofler schon nach Nordtirol mitgenommen; Großvater kaufte sie zurück. Einmal im Monat wurde Brot gebacken, ein paar frische Vintschgerln, der Rest trocknete am Dachboden zu Schüttelbrot. Die »alte Kastanie« muss schon Jahrhunderte stehen. Sie hat einen Durchmesser von 2,33 m (im Jahr 2000).
Vom 16. März 1964 bis zum 31. Oktober 1964 baute Großvater Hödl die erste auch für Autos fahrbare Straße auf den Hof. (Ich fuhr das erste Auto herauf, seinen Fiat 1100er!) Die Straße führte auf der Sonnseite etwa entlang dem alten Weg, begann aber oberhalb bei der früheren Autogarage der Hödls am Tanzbach und verlief dann weniger steil mit einer Kehre im »Wüsten Tal« (das hieß seit einem Holztrieb vom Oberen Stall bis zur Staatsstraße zu Anfang des Jahrhunderts so). Eine Verlängerung reichte bis Haselbrunn.
Die heutige asphaltierte Gemeindestraße über die Schattseite führt seit 1987 bis zum Hof und seit 1988 bis Schlögg.
Am 4. März 1988 wurde ein Teil des Hauses, die alte Küche, unter Denkmalschutz gestellt. Das Treppenhaus wurde um 1980 gedreht, damit für Spraiters die untere Wohnung mit einer Zwischentür abgetrennt werden konnte. In der ganz lärchengetäfelten Stube im Erdgeschoss, laut Tür aus dem Jahr 1830, hat ca. 1980 der Sarntheiner Tischler Luis Spögler eine praktische Kochzeile eingebaut.
Pächter beziehungsweise dauernde Bewohner des Siebenfahrerhofes waren unter Hödl von 1926 bis Ende Oktober 1943 für 2500 Lire im Jahr Karl Kofler (an Ziegen durfte er laut Vertrag höchstens zwanzig halten), danach bis zum 2. November 1954 sein nicht »ins Reich« abwandernder entfernter Verwandter Alois (Louis, Luis) Kofler (vom Schusterhof gegenüber stammend) auf Halbpacht, dann Noë Spögler, der zuvor viel in unserem Wald gearbeitet hatte (Pacht: 37 Prozent der Erträge), ab November 1967 für 500.000 Lire in Jahr der alte Paul Innerebner genannt Urstätter, der die Haselbrunn-(Nachbars-)Tochter Klara geheiratet hatte. Es folgten 1970 Georg Priller (bis Jörgi [Georgi], den 23. April 1980, zunächst 320.000, dann 240.000 Lire im Jahr), dann die Spraiters und ab Mai 1987 Familie Florian Kofler (nicht verwandt mit den vorigen Koflers). Seit Juni 2006 waren Igor Rainer und Martina Werth am Hof.
Nach dem Tod von Marianne und Anton Hödl (19.7.1971 und 1.2.1972) und einigen familiären Verwerfungen ging der geschlossene Hof (nicht so der Wald) Ende 1987 je zur Hälfte an Heinz Hödl und Fritz Jörn, die Lentsch wurde abgespalten. Inzwischen, nach dem Tod von Heinz Hödl (4. 4. 1915 – 10. 2. 2002), besitzen den Siebenfahrerhof sein Sohn Maximilian (¼) und Fritz Jörn (¾).