Wege ins Sarntal und Wege zum Siebenfahr
Heute fährt man in weniger als zwanzig Minuten mit dem Auto von Bozen auf den Siebenfahrerhof. Bei Kilometer 14,6 der Staatsstraße SS508 zweigt man unmittelbar vor der Tanzbachbrücke ostwärts ab, quert dann zweimal den vom Stollen zum Wasserkraftwerk in Bozen notorisch leergetrunkenen Osterbach und damit zoll- und kontrollfrei die alte römische Grenze zwischen Venetien (Venetia) und Rätien (Raetia), an die sich Napoleon 1810 bei der Aufteilung Tirols an Italien und Bayern wieder erinnert hatte. (1813 war Tirol schon wieder vereint, siehe Geschichte.) Am Blasbühel war damals die Grenzstation, sagte Marianne Spraiter.
Nach 1,6 Kilometern asphaltierter Seitenstraße, hinter dem Bildstock für den am 30. November 1950 tödlich abgestürzten Wilderer Florian Unterkalmsteiner (geb. 19. 12. 1931) und einem alten Kruzifix, zweigt man oben auf der Höhe rechts ab durch die Wiesen zwischen früherem Langacker, oben, und dem Weizacker, darunter. Das Hofhaus steht – anders als alle anderen Bauernhöfe hier – mit dem Giebel quer zum Tal, daneben der alte Stadel, noch mit der starken Dachneigung früherer Strohdächer, seit 2013 aber mit Holzschindeln eingedeckt. Ein Wäsche‑, Werkstatt‑, Holz- und einstmals Backhaus, das «Zimmerhüttl», vervollständigt die Dreiergruppe. Mehr zur Hofgeschichte seit 1288 hier .
Über dem Hauseingang prunkt ein Putzrelief mit der Jahreszahl 1857. Diese geht auf Jakob Hofer zurück, der 1857 das Haus zur heutigen Form erweiterte. Innen die Tür der lärchenen Bauernstube hat die Jahreszahl 1830 in Holz eingelegt.
Das Sarntal
Die alten Römer sind hier nicht nach Deutschland gezogen. Das Sarntal war immer ein Nebenweg. Im Dialekt ist es das deutscheste Tal Südtirols. Vor der bayrischen Besiedlung im 6. und 7. Jahrhundert lebte hier niemand (1). Ab 1273 kam das Sarntal unter die Tiroler Landesfürsten. Dass der römische Feldherr Drusus selbst einen seiner getreuen Unterführer auf den heutigen Eyrnbergerhof gesetzt haben soll, ist eine schöne Geschichte. Leider hat der alte Eyrnberger die letzten Reste römischer Mauern, einen Wehrturm mit Schießscharten und einen schönen Bogen mit Malereien 1975 beim Neubau des Hauses abgerissen. Sein Hof liegt zusammen mit Schuster und Martertaler unserem Siebenfahrerhof ganz genau gegenüber, ebenfalls auf einem vorteilhaften Moränenhügel. Von dort aus, und nicht schon aus dem Marterloch, muss der französische Korporal in Hans Matschers Erzählung den Siebenfahrer so nah und doch so weit weg gesehen haben.
Der Weg ins Sarntal vor 1850 über Afing
Hans Matschers Geschichte beschreibt den Hauptweg ins Sarntal zwischen Mittelalter und 1853 (4). Leichter kam man ja über den Tschögglberg vom Etschtal her ins Tal herein. Als 1027 der Brixner Bischof bei Klausen anfing, Zoll zu erheben, wurde der Umweg durch das Sarntal aber populär. Vom Bozner Stadtviertel Sand aus stieg man, die Schlucht der Talfer meidend, auf der Westseite des Tales über Sankt Georgen und die Ruine Rafenstein – nicht mit Schloss Runkelstein zu verwechseln – unterhalb Jenesiens über die Freihöfe Goldegg und das Gasthaus Gruber durch das Tal des Dornbachs nach Afing. Der Name soll ladinisch sein, ebenso wie der des »Mart-Tals«, dem ›val morta‹. Hinter den beiden Schmalzhöfen kam man dann in dieses berüchtigte Martertal, noch heute eine wildromantische Gegend mit Spuren einer verfallenen Mühle am reißenden Bach. Dessen Wasser schoss damals auf einem hölzernen Dach, einer Schusstenne, über die Wanderer hinweg. Der Eyrnberger war dann eine Raststation mit Steuerprivilegien wie freiem Weinausschank. Dafür musste er den Samern Herberg’ geben und den Weg durchs Marterloch instandhalten. Ställe gab’s für vierzig Pferde. Über Vormeswald (‹Volkmarswald›) – richtiger die Salmbergerhöfe – kam man in Bundschen (lat. pontesin, Brücklein) ins Tal, dort, wo es überhaupt erst flach und breit wird.
Heute ist das alles ein markierter Wanderweg mit einer Abstiegsmöglichkeit vom Dickerbauern in Hinterafing hinunter zu Halbweg beziehungsweise zur Bar Frieda und einem Wanderweg von Moarhäusl im Tal nach Afing. Mit dem Auto kann man von Süden her bis zu den Schmalzhöfen und von Norden bis zum Eyrnberger fahren.
Der Notweg über Wangen
Gegenüber, auf der Ostseite, gab es einen zweiten Weg ins Sarntal, der ebenfalls die Sarner Schlucht mied, einen »Notweg« über Wangen, der allerdings schon 1296 als Fahrweg erwähnt wird. Die alte Steinzeichnung (5) zeigt diesen Weg; ganz rechts oben Rafenstein, vorne rechts zeichnerisch überhöht die Ruine Walbenstein (das Finggeller Schlösschen im Volksmund), im Mittelgrund Runkelstein und Sankt Peter, vielleicht noch Klebenstein oder Rendelstein, und hinten die Mendel. Dieser Weg führte von Wangen über Gampenried, dann vielleicht unten im Tal beim »Fîtschwirt« vorbei (Tarneller, Hofnamen 2568) oder auf der »alten Straße« (Parzelle 8184) oberhalb des Tals und damit auch über die ehemalige Angerwies vom Siebenfahrer zum Blasbühel und von dort über den Tanzbach weiter nach Bundschen. (Erhalten sollten ihn auf diesem Stück – wieder laut Dr. Carl von Braitenberg (4) – der »Güetler« vom Berggütl, heute verfallen und verlassen hinter dem Sulfertaler am Rittner Wanderweg 22, der Tschaffauner, der Mayr, die zwei Platzhöfe, Alber und Leyrer und der Wanger.)
Die Sarner Schlucht
Der Hauptweg ins Sarntal ging aber im Mittelalter – vielleicht schon ab den elften Jahrhundert und gewiss noch um 1500 – und dann wieder ab 1853 durch den Talgrund. Noch 1901 wurde die Straße erneuert und von Kaiser Franz Josef I in Sarnthein wiedereröffnet (6). Zahlreich sind die Geschichten vom Sarner Toni, einem Gast- und Zollhaus am Eingang der Schlucht. Zwei Kreuzer zahlte man je Person. Heute ist die Straße in der Schlucht unterhalb Moarhäusl zwischen Johanneskofel (dem mit dem alten Adlernest) und Zagglerbach vollständig weggerissen. Selbst die alte holzüberdachte Brücke im Schatten Runkelsteins haben Schotterlastwägen längst kaputtgefahren.
Über das Projekt einer Zahnradbahn – ähnlich wie es sie auf den Ritten gab – aus dem Jahr 1880 mit 15 Tunnels berichtet ebenfalls der Schlern (7). Sogar ein Seilbahnprojekt hat es gegeben (8).
Die heutige «Staatsstraße»
In den dreißiger Jahren entstand oberhalb der Schlucht mit 24 Tunnels die heutige Staatsstraße über das Penser Joch. Sie steigt bei Schloss Ried steil hinauf und verläuft dann oberhalb des Finggeller Schlösschens ziemlich waagerecht: Hier war ein Stausee geplant, der dann aber aus Angst vor einer Überschwemmung Bozens nicht gebaut wurde. Stattdessen entstanden um 1950 zwei Stufen von Wasserkraftwerken mit unterirdischen Zuleitungen. Das untere Kraftwerk liegt in Bozen an der Sankt-Anton-Straße zu Füßen Runkelsteins, das obere oberhalb Bundschens unter dem Gasthof Fichter.
Zum Ende des zweiten Weltkrieges – die Straße durch die Sarner Schlucht war nach wie vor passierbar – wurden die Tunnels gesperrt und militärisch für Munition und Munitionsfertigung genutzt.
Seit 1988 gibt es eine Straße vom Ritten über Wangen und Niederwangen ins Sarntal, die bei der Fitsch einmündet. Bis zur Sarner Grenze hatten die Wangener die Straße schon in den Jahren 1976 und 1977 gebaut, die Sarner kamen aber dort wegen eines nötigen Landschaftsgutachtens erst 1988 zum «Anschluss». Ein Glück für das Jahr 1980: Durch einen Erdrutsch war die Sarner Straße ein halbes Jahr lang gesperrt, man musste «den Notweg» über den Ritten fahren. In der Folge entstanden in den neunziger Jahren, besonders zwischen Moarhäusl und Halbweg, neue Tunnels.
In den 2000er Jahren wurde die Straße durch neue Tunnels begradigt und verkürzt. Dies und viele weitere Details zur Sarner Straße sind in einem Buch des Sarner Geschichtsvereins dokumentiert.
Quellen:
(1) Zur Dialektgeographie des Sarntales ;77/228 (deutschestes Tal Südtirols, ab ca. 1000 bayrische Bes., bleib’ »a Preckl«, ein Weilchen …)
(2) Der Eyrnbergerhof ;67/342, 454 und ;77/235 ;79/373
(3) Aus den Dolomiten vom 7. Februar 1953, siehe www.Joern.De/siebenf.htm
(4) Dr. Carl von Braitenberg, Meran, Zenoweg 39, Schlern 1975; Seite 280 ff »Der alte Notweg ins Sarntal über Langegg und Wangen«, auch »Straßen ins Sarntal« ;69/530 (A)(K), ;70/332
(5) Lithographie aus dem Schlafzimmer von Anton Hödl am Siebenfahrerhof
Eingang in’s Sarnthal, bei Botzen, mit der Aussicht auf’s Etschtal.
Entrée du Sarnthal, près de Botzen, avec la vue de la valée d’ Adige.
Lithographisches Institut der Wagner’schen Buchhandlung in Innsbruck
(6) 69;532
(7) 68;71
(8) Die Eisenbahn ins Sarntal ;72/260(A), 471 (1880er-Jahre, 15 Tunnels, 2–5% Steigg., zwei Zahnradstrecken bis 12%)
Eine schier unendliche Quelle ist die Zeitschrift »Schlern«, einsehbar links an der Wand im Lesesaal der Teßmann-Landesbibliothek in Bozen-Gries. Ein Schlagwortverzeichnis als letzter Band enthält unter »Sarntal« zahlreiche Hinweise.
Alles über das Sarntal im Schlern hier: Sarntal im Schlern